Nachfolgend ein kleines gedankliches Experiment:
Stellt euch vor, ihr möchtet Autofahren lernen. Ihr kauft
euch ein 600 Seiten dickes Buch und arbeitet es akribisch durch. Danach bucht
ihr einen 5-wöchigen Intensivkurs, der euch aufs Autofahren
vorbereiten soll. Ihr sitzt im Kurs und stellt fest, dass haargenau dasselbe
Wissen vermittelt wird wie im Buch, das ihr Zuhause als Vorbereitung
(freiwillig und nicht auf Empfehlung des Kursanbieters) gelesen habt. In jeder
Lektion wird fast wörtlich dasselbe wiederholt, das auch im Buch steht, die
Handouts, die verteilt werden, sind Kopien aus eben diesem Buch. Schönes Pech,
oder? Und sehr langweilig, fünf Wochen das zu hören, was ihr bereits gelesen
habt. Hinzu kommt, dass ihr Autofahren ja nur richtig lernt, wenn ihr
praktische Erfahrung sammelt, ein Buch lesen alleine reicht nicht. Aber auch die
praktische Anwendung wird nicht wirklich vermittelt im Kurs. Was also macht
ihr?
Genau, den Kurs nicht mehr weiter besuchen. Darum sitze ich nun in Berlin
und habe zum ersten Mal im Leben eine Weiterbildung nicht fertig gemacht. Das
ist einerseits ein sehr seltsames Gefühl, andererseits aber auch befreiend. Nun
kann ich die kommenden Wochen für mein Fernstudium nutzen und gleichzeitig
Kilometer um Kilometer die Stadt erkunden. Eigentlich eine paradiesische
Situation, mal abgesehen vom Frust betreffend Weiterbildung, den ich jedoch bereits
am Abbauen bin.
Übers Wochenende begegneten mir, nebst den Gedanken, die ich mir
zu meiner Weiterbildung resp. deren Abbruch, gemacht habe, viele spannende
und positive Situationen, Bilder, Eindrücke, Gerüche und Menschen. Ich war
stundenlang zu Fuss unterwegs (öV habe ich noch keine benutzt, damit warte ich
bis mein erstes Paar Schuhe keine Sohlen mehr hat), immer mal wieder hat mich
der Fernsehturm von einer anderen Seite angezwinkert. Trotz Wolken am
Samstag und Sturm am Sonntag habe ich diese Streifzüge sehr genossen, ab und zu
musste ich auch mal stehenbleiben und lauthals lachen, zum Beispiel an der
Postdamer Strasse, nicht weit vom Potsdamer Platz entfernt. Da schaue ich zur gegenüber
liegenden Strassenseite und sehe 3 Firmennamen, in exakt dieser Reihenfolge:
Löffelei – Bestattungsunternehmen – Ave Maria
Ich gebe also den Löffel ab (das ist übrigens ein
Suppenrestaurant, das ich aus naheliegenden (Ab)Gründen nicht getestet habe), danach lande ich im Unternehmen des Bestatters, um gleich
darauf einige Ave Marias zu hören (die verkaufen CDs, Bücher und Kerzen einer
Sekte). Auch interessant war das unschön geparkte Auto, dessen Motorhaube bis über
das Trottoir hinausreichte. Automarke war Audi, Autonummer jedoch „B-MW 123“.
Wie das wohl passieren konnte?
Auch an der Kultur kommt man(u) nicht vorbei: das
Gruselkabinett lag quasi auf dem Gehsteig (da stieg ich aber elegant drüber
hinweg, weil ich sonst Albträume hätte und die nächsten paar Tage zähneklappernd
im Bett läge), das Brandenburger Tor mit Reichstag und allem was sich dort
sonst noch so trifft, die Landesbibliothek, das Stadt-Archiv, der Tiergarten
mit Siegessäule (die wirklich nicht zu übersehen ist), das Museum der Kulturen,
etc.
Für mich ist auch der Wochenmarkt am Samstagmorgen eine kulturelle
Erfahrung mit all seinen Marktständen, an denen Gerichte aus der ganzen Welt
gekocht werden, mit Marktbesuchern jeglicher Couleur, mit dem Sprachgemisch und
den exotischen Düften, die über dem Platz schweben. Dieselbe Stimmung hat
mich auch in den Markthallen am Kreuzberg fasziniert, und ebenso am Berliner
Hauptbahnhof. Einfach in einem Café sitzen und das Stimmengewirr auf sich
wirken lassen, zuschauen, wie die Menschen auf die Bahn hetzen oder sich etwas
zu lesen kaufen, der Diskussion am Nachbartisch zuhören und sich
unsicht(hör)bar machen, wenn die Runde auf das Abstimmungsresultat vom
vergangenen Sonntag in der Schweiz zu sprechen kommt (häufig so geschehen).
Mittlerweile gibt es hier (zu meinem Glück) bereits ein neues heisses Thema,
diesmal jedoch ein innenpolitisches, die Schweiz steht also nicht mehr so sehr im
Mittelpunkt.
Hier ein paar Impressionen meines Wochenend-Programms, das eindeutig besser war als die Bildqualität:
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