FREIHEIT – Wenn ich durch die Stadt wandere, habe ich oft
das Gefühl die Schule zu schwänzen (mal abgesehen davon, dass ich dieses Gefühl
gar nicht wirklich kenne, weil ich noch nie die Schule geschwänzt habe). Dann
fällt mir beim übernächsten Schritt ein, dass ich ja gar nicht mehr da hingehen
muss, sondern offiziell ausgetreten bin. Eigentlich schön, ich freue mich jedes
Mal beim Gedanken, dass ich jetzt den ganzen Tag zur Verfügung habe, selber
einteilen kann, wann, wo und wie lange ich lerne und wann ich nach draussen
gehe, die Stadt erkunden, die Sonne geniessen, Cappuccino trinken, Menschen
beobachten, Dinge entdecken, Postkarten schreiben, Geschichten erfinden,
Zeitung lesen und über mich selber lachen.
Gestern Abend hat mich mein Berliner Kurskollege angerufen,
er ist Schauspieler und muss für einen Werbespot vorsprechen. Der Spot soll von
einem Deutschen mit Schweizer Akzent gesprochen sein. Da spricht er mir also
seinen Text auf „Bääääärndüüütsch“ vor und ich verstehe kein Wort. Er
wiederholt ihn noch einmal, und langsam verstehe ich, was er sagen will
(respektive muss). An der richtigen Betonung muss noch gearbeitet werden, zum
Glück habe ich eine gewisse Zeit in Bern gelebt und weiss, wie das am Ende klingen
muss. Er ist also jetzt statt am Unterricht Vorbereiten (er hat im Gegensatz zu
mir die Schule nicht geschmissen) am Schweizer Dialekt üben, während ich mir
Gedanken mache zu meinem Hochdeutsch.
Am Montag habe ich nämlich endlich mal einen Fuss in eine der vielen
Weinhandlungen meiner Strasse gesetzt. Die Dame dort drin war äusserst nett und
hilfsbereit, mit einem grossen Wissen über die angebotenen Weine in den
Regalen. Wir haben uns nett unterhalten, schliesslich stand ich mit drei
Flaschen Weisswein an der Kasse. Während sie mir den Kassenbon überreichte,
erwähnte sie beiläufig, dass ich doch sicher aus der Schweiz käme. Ich habe
mich vorsichtshalber schon mal geduckt in Erwartung eines verbalen Schlags
aufgrund der vergangenen Abstimmung und habe genickt. Als der Schlag ausblieb
und ich mich wieder traute hochzuschauen sagte sie nur: „Aber aus der Urschweiz
sind Sie nicht, na?“ Nein, sei ich nicht, weshalb? „Na, ich versteh Sie, die
Urschweizer versteh ich nämlich nicht!“ Toll, soviel zu meinem Hochdeutsch, die Dame
dachte allen Ernstes, ich spreche Mundart mit ihr! Dabei hab ich mir so viel
Mühe gegeben, nicht ganz holzfällerisch Hochdeutsch zu sprechen. Offensichtlich
denkt sie aber immer noch, dass das ein Schweizer Dialekt sei, und sie ist vermutlich nicht die einzige hier, die das denkt. Mein inneres Gleichgewicht ist erschüttert!
Ich werde also heute Abend bei meinem deutschen
Kollegen Sprechunterricht nehmen, das soll mir nicht noch einmal
passieren! Auch wenn die Deutschen unseren Dialekt (NICHT Akzent, wohlgemerkt)
süss finden. Ich kann es immer noch kaum fassen, dass mir das tatsächlich
passiert ist.
Auf jeden Fall gebe ich mir in Zukunft noch viel mehr Mühe
mit meinem Hochdeutsch, so dass es nicht mehr als Schweizer Dialekt verkannt
wird, sondern allenfalls noch einen leichten Akzent hat, der aber auch süddeutsch
sein könnte. Und wenn alles nix nützt, habe ich ja noch die drei Flaschen Weisswein im Kühlschrank (die meine innere Ruhe sicher wieder herstellen).
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