Dienstag, 27. Januar 2015

Schneetreiben

Schnee macht das mit mir: Sobald die ersten Flocken vom Himmel schweben (oder fallen, je nach Tagesform von Frau Holle) wird alles um mich herum ganz langsam und friedlich. Die Amerikaner würden dieses Gefühl vermutlich für viel Geld als „Detox-Feeling“ oder „Live longer with cold energy“ oder sowas verkaufen, wenn sie könnten. In der Schweiz liesse sich das vielleicht als „Saisonale Entschleunigung“ vermarkten, bloss müsste ich mir dann noch etwas einfallen lassen für den Sommer, Regenwürmer eignen sich ja vermutlich nicht wirklich für die Vermarktung eines Angebots.

Gestern sass ich freudestrahlend im Büro (weil es draussen schneite wie wild, nicht weil ich im Büro sitzen musste), als meine Nachbarin plötzlich laut vor sich hin knurrte (ich kann es leider nicht anders sagen). Nachdem ich mein vor Schreck verlorenes Gleichgewicht auf dem Balance-Hocker wieder gefunden hatte, habe ich sie fragend angeschaut. Voller Verachtung schaute sie aus dem Fenster und sagte: „Aber doch nicht jetzt!!“ Diese Aussage änderte natürlich nichts an meinem fragenden Blick, worauf sie sich etwas differenzierter ausdrückte: „Sch…schnee, der kann, wenn er dann unbedingt muss, ja im Dezember kommen, aber doch nicht JETZT!!“ Aha, meine Nachbarin ist also aus anderem Holz geschnitzt als ich. Weil sie aber einen tatsächlich frustrierten Eindruck machte, verkniff ich mir den Hinweis, dass der Winter meteorologisch gesehen noch bis Ende Februar dauert. Und bis dann hat er auch durchaus Berechtigung auf Schnee, finde ich (je mehr desto besser, aber auch das verkniff ich mir).

Abends auf dem Heimweg war das Schneetreiben so stark, dass man kaum bis zu den Füssen sehen konnte, also schaute ich in die entgegengesetzte Richtung, in den Himmel. Das macht einfach Spass: Den Kopf in Richtung Schneeflocken halten und auf gar keinen Fall die Augen schliessen! Ausser wenn eine dicke Schneeflocke direkt drin landet, dann schliessen sie sich automatisch. Aber diesem Geflocke zuzuschauen in Richtung Himmel ist ein wunderbares Gefühl, man kann sich so richtig darin verlieren. Bis man früher oder später unsanft auf den harten Boden der Realität zurückgeholt wird, weil man entweder das Gleichgewicht verliert in all den Flocken und mitten auf dem Trottoir auf den Allerwertesten fällt oder weil ein anderer Fussgänger Platz braucht. Vielleicht hätte ich mein Schneeflockenschauspiel besser zuhause auf der Terrasse genossen, das wäre weniger peinlich gewesen. Naja, offensichtlich habe ich noch lange nicht ausgelernt.

Jetzt hoffe ich, dass bald wieder Schnee aus den dicken grauen Wolken fällt, und da ich heute von Zuhause aus arbeite, kann ich sogar laut jubeln, ohne dass sich meine anti-schneeige Büronachbarin zu sehr ärgert über meine Freude (sie und ich mögen uns übrigens sehr gut, ausser es geht um winterliche Diskussionen).


Was mir etwas peinlich war gestern: Ich lag schon im warmen Bett, als unser Nachbar noch Schnee schaufeln ging. Ich hätte das auch tun können/sollen/müssen, ist es eine schlechte Ausrede, wenn ich sage, dass ich die Schneeschaufel nicht gefunden habe? Auf jeden Fall herzlichen Dank, lieber Nachbar! 

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