Kürzlich sass ich, trotz eher herbstlichen Temperaturen, mit einem ehemaligen Arbeitskollegen
mitten im Thurgau in einem Biergarten.
Interessanterweise sprechen wir fast nie über Dinge, die wir zwischen unseren
ungefähr vierteljährlichen Treffen erlebt haben, sondern über Begebenheiten,
die uns gerade aktuell beschäftigen, erheitern, traurig machen oder noch
zuvorderst in unserem Bewusstsein kleben, obwohl wir bereits nicht mehr im Büro sind.
Einmal mehr landeten wir (zum Glück nur gesprächstechnisch)
im Spital, und von dort ist es meist nicht mehr weit zum Thema
Schweizerdeutsch. Mein Kollege nämlich, der als Informatiker arbeitet und nicht
sehr gerne hochdeutsch spricht (das hat faktisch rein gar keinen Zusammenhang),
sieht sich umgeben von nicht schweizerdeutsch sprechendem Pflegepersonal.
Selbstverständlich ist schweizerdeutsch die Sprache der Wahl, trotzdem kann er
sich ab und zu eine diesbezügliche Bemerkung bei seinen Lieblingsdamen nicht
verkneifen (die ihm das nicht übel nehmen können, weil die Aussage umhüllt ist
mit viel Charme).
Weiter geht die Diskussion und endet bei den kulturellen
Herausforderungen, die ein solcher „Gemischtwarenladen“ nun mal mit sich
bringt, was nota bene keine Spezialität des Pflegebereichs ist, sondern in
vielen anderen Berufsgruppen oder Unternehmen auch zum täglichen Brot gehört.
Meiner Ansicht nach bringt eine kulturelle Vielfalt vor allem Farbe in den
Alltag, aber ich weiss aus eigener Erfahrung, dass eine grössere Toleranz gefordert
ist, sowohl von den Nicht-Schweizern als auch insbesondere von den
Ur-Eingeborenen. Trotzdem fühlt man sich hin und wieder auf die Zehen getreten,
übergangen, plattgeredet oder leicht dümmlich, weil sich uns zum Beispiel die
gutschweizerische berühmte Bescheidenheit in den Weg stellt, während wir
diskutieren mit Mitmenschen aus anderen Kulturen.
Um nicht länger um den heissen Brei herumzureden: Konkret
zerpflückten wir wieder einmal genüsslich deutsche Gepflogenheiten, wohlgemerkt
im vollen Bewusstsein, dass wir nicht alle in einen Topf werfen können, wollen oder dürfen. Was
bewegt Menschen dazu, alles aufzugeben, um ihr Heimatland zu verlassen? Jetzt
natürlich mal ausgenommen Flüchtlinge, die durchaus Grund haben, ihr Land hinter sich zu lassen. Warum zieht es Deutsche in die nahe Schweiz? Die Kulinarik kann es
nicht sein (das Bier schon gar nicht), die schöne Bergwelt ist zumindest im
Thurgau auch kein Argument, die Liebe des Lebens lassen wir hingegen gelten.
In den meisten Fällen ist es wohl schlicht und ergreifend
das liebe Geld, das lockt, für das man sein soziales Umfeld und
sein Zuhause aufgibt. Weder mir noch meinem Kollegen wäre es ein höherer Lohn
wert, alles aufzugeben und das Land zu verlassen. Kann es daher sein, dass gewisse
Charaktere sich eher für mehr Lohn und weniger soziales Umfeld entscheiden als
andere?
Eine sehr gewagte These: Denn wenn ja, könnte dies allenfalls eine
Erklärung dafür sein, dass wir alle, um wieder das alte Beispiel unserer
nördlicher Nachbarn zu nehmen, sehr viele nette deutsche Menschen kennen, uns
aber ständig fragen, weshalb wir bloss mit unseren Arbeitskollegen so viele
Missverständnisse und Diskussionen haben? Gar neidisch sind oder uns
regelmässig auf den schweizerischen Schlips getreten fühlen? Wo sind denn bloss
all die sympathischen Deutschen, denen wir in der Freizeit begegnen? Der
geneigte Leser merkt, worauf ich hinaus will.
Selbstverständlich
haben wir unsere Überlegungen aber sofort wieder unter unsere Bierdeckel
geschoben, wo sie auch bleiben (und nur ab und zu neckisch hervorblinzeln, um
uns unsere vermeintliche Toleranz und Offenheit unter die Nase zu reiben).
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