Montag, 29. September 2014

Über Unschweizerisches oder wie sich kulturelle Querelen auch erklären lassen

Kürzlich sass ich, trotz eher herbstlichen Temperaturen, mit einem ehemaligen Arbeitskollegen mitten im Thurgau in einem Biergarten. Interessanterweise sprechen wir fast nie über Dinge, die wir zwischen unseren ungefähr vierteljährlichen Treffen erlebt haben, sondern über Begebenheiten, die uns gerade aktuell beschäftigen, erheitern, traurig machen oder noch zuvorderst in unserem Bewusstsein kleben, obwohl wir bereits nicht mehr im Büro sind.

Einmal mehr landeten wir (zum Glück nur gesprächstechnisch) im Spital, und von dort ist es meist nicht mehr weit zum Thema Schweizerdeutsch. Mein Kollege nämlich, der als Informatiker arbeitet und nicht sehr gerne hochdeutsch spricht (das hat faktisch rein gar keinen Zusammenhang), sieht sich umgeben von nicht schweizerdeutsch sprechendem Pflegepersonal. Selbstverständlich ist schweizerdeutsch die Sprache der Wahl, trotzdem kann er sich ab und zu eine diesbezügliche Bemerkung bei seinen Lieblingsdamen nicht verkneifen (die ihm das nicht übel nehmen können, weil die Aussage umhüllt ist mit viel Charme).

Weiter geht die Diskussion und endet bei den kulturellen Herausforderungen, die ein solcher „Gemischtwarenladen“ nun mal mit sich bringt, was nota bene keine Spezialität des Pflegebereichs ist, sondern in vielen anderen Berufsgruppen oder Unternehmen auch zum täglichen Brot gehört. Meiner Ansicht nach bringt eine kulturelle Vielfalt vor allem Farbe in den Alltag, aber ich weiss aus eigener Erfahrung, dass eine grössere Toleranz gefordert ist, sowohl von den Nicht-Schweizern als auch insbesondere von den Ur-Eingeborenen. Trotzdem fühlt man sich hin und wieder auf die Zehen getreten, übergangen, plattgeredet oder leicht dümmlich, weil sich uns zum Beispiel die gutschweizerische berühmte Bescheidenheit in den Weg stellt, während wir diskutieren mit Mitmenschen aus anderen Kulturen.

Um nicht länger um den heissen Brei herumzureden: Konkret zerpflückten wir wieder einmal genüsslich deutsche Gepflogenheiten, wohlgemerkt im vollen Bewusstsein, dass wir nicht alle in einen Topf werfen können, wollen oder dürfen. Was bewegt Menschen dazu, alles aufzugeben, um ihr Heimatland zu verlassen? Jetzt natürlich mal ausgenommen Flüchtlinge, die durchaus Grund haben, ihr Land hinter sich zu lassen. Warum zieht es Deutsche in die nahe Schweiz? Die Kulinarik kann es nicht sein (das Bier schon gar nicht), die schöne Bergwelt ist zumindest im Thurgau auch kein Argument, die Liebe des Lebens lassen wir hingegen gelten. 

In den meisten Fällen ist es wohl schlicht und ergreifend das liebe Geld, das lockt, für das man sein soziales Umfeld und sein Zuhause aufgibt. Weder mir noch meinem Kollegen wäre es ein höherer Lohn wert, alles aufzugeben und das Land zu verlassen. Kann es daher sein, dass gewisse Charaktere sich eher für mehr Lohn und weniger soziales Umfeld entscheiden als andere? 

Eine sehr gewagte These: Denn wenn ja, könnte dies allenfalls eine Erklärung dafür sein, dass wir alle, um wieder das alte Beispiel unserer nördlicher Nachbarn zu nehmen, sehr viele nette deutsche Menschen kennen, uns aber ständig fragen, weshalb wir bloss mit unseren Arbeitskollegen so viele Missverständnisse und Diskussionen haben? Gar neidisch sind oder uns regelmässig auf den schweizerischen Schlips getreten fühlen? Wo sind denn bloss all die sympathischen Deutschen, denen wir in der Freizeit begegnen? Der geneigte Leser merkt, worauf ich hinaus will.

Selbstverständlich haben wir unsere Überlegungen aber sofort wieder unter unsere Bierdeckel geschoben, wo sie auch bleiben (und nur ab und zu neckisch hervorblinzeln, um uns unsere vermeintliche Toleranz und Offenheit unter die Nase zu reiben).


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