Freitag, 5. September 2014

Geisterbahnhof



Unglaublich, nach einem gemütlichen, menschenreichen Abend in Zürich eile ich auf den einen Zug, der direkt bis nach Wiesendangen durchfährt, was mir abends jeweils immer sehr entgegenkommt. Bloss, wo steht er denn? Er fährt um 21.52 Uhr auf Gleis 52, vermutlich haben die SBB das so gemacht, weil es für mich einfacher zu merken ist. Aber heute steht er nicht dort… und siedend heiss fällt mir ein, dass da ja ein neuer Bahnhof existiert, im Untergrund des Hauptbahnhofs Zürich. Tatsächlich, mein Zug fährt auf dem mir unbekannten Gleis 33. Gleis 33??Klingt auch gut, und netterweise wurde die Abfahrt 3 Minuten nach hinten geschoben, was heisst, dass ich den Zug auch dann erwische, wenn ich knapp vor 21.52 Uhr auf dem falschen Gleis warte. Und einigermassen gut zu merken ist die neue Verbindung auch: 21.55 Uhr auf Gleis 33, Schnapszahlen lassen grüssen (und sagen nichts über den Zustand der Passagiere aus!).

Also nichts wie los: kurze Orientierung wo ich genau stehe, dann ein paar Treppen runter ins Untergeschoss. Seltsam, alles in Weiss und Marmor gehalten, Blumenarrangements,
Gartenatmosphäre, Rolltreppen, goldene Decke, alles ruhig und friedlich. Nur keine Menschen!!! Ein Geisterbahnhof! Da, wo ich mich sonst immer beklage, dass es zu viele Mitkreaturen um mich herum gibt, war NIEMAND! Gähnende Leere, das gibt’s ja gar nicht, und das am Hauptbahnhof in Zürich! Meine Vermutung ist, dass ganz viele Passagiere den Zug verpasst haben, weil sie wie ich auf dem Gleis 52 gewartet und zu spät realisiert haben, dass sie dort niemals einen Zug finden, der sie nach Hause bringt.
Ich sitze also nun im warmen, leeren Abteil, und versuche mich psychologisch auf die nächste Nacht vorzubereiten. Passend zum Geisterbahnhof eine grosse Herausforderung, obwohl ich normalerweise weit entfernt von grundsätzlich hysterisch bin… warum? Ich habe letzte Woche zweimal morgens um drei einen Mann mit Stirnlampe auf unserer Strasse gesehen. Er ist mit dem Auto gekommen, ausgestiegen, um die Häuser geschlichen, hat die Fassaden hochgeleuchtet. Natürlich habe ich die Polizei angerufen, die fanden das aber nicht weiter beunruhigend, weil sie davon ausgehen, dass ein Dieb sicherlich ohne Beleuchtung unterwegs wäre. Was mir einleuchtet (sprichwörtlich), aber das Verhalten des Stirnlampenmanns nicht weniger seltsam macht.

Nun hoffe ich einerseits, dass ich nicht mehr mitten in der Nacht erwache und den Schein einer Stirnlampe an der Zimmerdecke sehe, andererseits hoffe ich aber auch, dass ich den Mann noch einmal in Aktion sehe und ihn an jener Stelle nach seiner Motivation fragen kann. Was treibt einen Menschen morgens um drei auf die Strasse, mit Stirnlampe? Fledermäuse sind um jene Uhrzeit nicht mehr unterwegs, Igel leben nicht an der Hausfassade, Bauschäden werden tagsüber begutachtet, Gärtner und Maler sind auch eher tagaktiv… ich überlege mir ein Szenario nach dem anderen, keins davon passt, also bleibt nichts anderes übrig, als den ganz klar nachtaktiven Menschen zu fragen, was er da genau macht.

Sollte er tatsächlich einer wissenschaftlichen Frage nachgehen, wäre es wohl angebracht, er hätte via Flugblatt auf sein Vorhaben aufmerksam gemacht. Was soll ich nun hoffen? Auf jeden Fall werde ich sämtliche Rollläden schliessen, ein Licht brennen lassen (für einmal lasse ich Stromsparen Stromsparen sein), und, für mich äusserst ungewöhnlich, mein Handy angeschaltet neben das Kopfkissen legen. So, ich bin parat für die nächste Geisternacht (äh, nun ja, nicht ganz, aber fast).


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