Mittwoch, 21. Oktober 2015

Kommunikationsnormen

Meist bin ich mir nicht bewusst, wie stark unsere tägliche Kommunikation genormt ist. In jeden zweiten Satz fliessen irgendwelche (im Prinzip unnötige) Floskeln ein, ganz unbewusst und im natürlichen Gesprächsverlauf. Unser Gegenüber reagiert darauf genau gleich genormt.

Beispiele gefällig? Situation: In der Marktgasse Winterthur bei einer zufälligen, unerwarteten Begegnung: "Hallo, wie geht’s?" Auf diese Frage erwartet selbstverständlich niemand eine ausführliche Antwort oder gar ein "Schlecht, danke" (um Himmels Willen, bloss nicht, wie sollen wir denn DAMIT umgehen?!!). Oder das allseits beliebte Satzendwort "oder". Situation: Ich lästere über einen mühsamen Mitmenschen, der mich geärgert hat: "Das isch doch eifach nöd zum Glaube, oder?" Hier erwarte ich auf keinen Fall eine Zweitmeinung meines Gegenübers (die im schlimmsten Fall sogar noch vernünftige Argumente enthält), sondern habe das typisch schweizerische (die Deutschen tun das nämlich nicht) "oder" einfach angehängt. 

Versucht mal eure "oders" pro Tag zu zählen, ihr werdet erstens über die Menge staunen und zweitens bei der Zählung erst noch nur einen kleinen Teil berücksichtigen, weil wir meist gar nicht merken, wenn wir "oder" sagen. Wenn ihr dann auch noch versucht bei euren Mitmenschen zu zählen, dann wird’s bald schwierig mit eins, zwei, viele…

Letztens auf dem Weg an eine Sitzung musste ich allerdings feststellen, dass es Menschen gibt, die sich dieser gesellschaftlichen Kommunikationsnormung nicht bewusst sind, was ziemlich irritierend sein kann. Situation: Ich stehe, nach genauer Tagesplanung eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn auf dem SBB-Perron und warte auf den Zug Richtung Sitzungsort. Mein Mobile klingelt (es zwitschert natürlich nicht in voller Lautstärke "Alle Vögel sind schon da", sondern vibriert unauffällig), am andern Ende ist mein Auftraggeber: "Hallo Manu, wo bist du?" Ich, mit der normalen, leicht panischen Reaktion auf eine solche Frage kurz vor Sitzungsbeginn: "Wir haben doch erst um vier abgemacht, ODER?" – Er: "Das war aber gar nicht meine Frage…" – Ich, leicht verwirrt: "Mein Zug kommt um viertel vor an." – Er: "Gut, dann treffen wir uns etwas früher, tschüss." Ich, nun sehr verwirrt: "……" – Er: aufgelegt. Übliche Rückmeldungen meinerseits wie "Jojo, isch logisch" auf eine Feststellung seinerseits rufen sofort eine Konterfrage hervor. "Warum?", "Sicher?" oder "Warum sagst du jetzt logisch?" Mittlerweile beschränke ich mich auf Schweigen, "Ja" oder "Nein" und verzichte auf sämtliche Füllwörter und Floskeln, die ich sonst in Gesprächen häufig verwende.


Er ist übrigens nicht der Einzige, der so kommuniziert, ich hatte schon Begegnungen, die ganz ähnlich vonstatten gingen. Ich frage mich dann jeweils, ob nicht ich diejenige bin, die zu viele leere Worte verwendet und somit sehr ineffizient kommuniziert… es fällt einfach immer erst dann auf, wenn das Gegenüber tatsächlich jedes Wort wahrnimmt und erst noch nicht als Worthülse abtut, sondern als ernsthafter Bestandteil des Gesprächs darauf reagiert. Nach einigen Feldtests in meinem näheren Umfeld stellte ich jedoch fest, dass es wohl doch nicht an meiner Art der Kommunikation liegt.

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