Schnee macht das mit mir: Sobald die ersten Flocken vom
Himmel schweben (oder fallen, je nach Tagesform von Frau Holle) wird alles um
mich herum ganz langsam und friedlich. Die Amerikaner würden dieses Gefühl
vermutlich für viel Geld als „Detox-Feeling“ oder „Live longer with cold
energy“ oder sowas verkaufen, wenn sie könnten. In der Schweiz liesse sich das
vielleicht als „Saisonale Entschleunigung“ vermarkten, bloss müsste ich mir
dann noch etwas einfallen lassen für den Sommer, Regenwürmer eignen sich ja
vermutlich nicht wirklich für die Vermarktung eines Angebots.
Gestern sass ich freudestrahlend im Büro (weil es draussen
schneite wie wild, nicht weil ich im Büro sitzen musste), als meine Nachbarin
plötzlich laut vor sich hin knurrte (ich kann es leider nicht anders sagen).
Nachdem ich mein vor Schreck verlorenes Gleichgewicht auf dem Balance-Hocker
wieder gefunden hatte, habe ich sie fragend angeschaut. Voller Verachtung
schaute sie aus dem Fenster und sagte: „Aber doch nicht jetzt!!“ Diese Aussage
änderte natürlich nichts an meinem fragenden Blick, worauf sie sich etwas
differenzierter ausdrückte: „Sch…schnee, der kann, wenn er dann unbedingt muss,
ja im Dezember kommen, aber doch nicht JETZT!!“ Aha, meine Nachbarin ist also
aus anderem Holz geschnitzt als ich. Weil sie aber einen tatsächlich
frustrierten Eindruck machte, verkniff ich mir den Hinweis, dass der Winter
meteorologisch gesehen noch bis Ende Februar dauert. Und bis dann hat er auch
durchaus Berechtigung auf Schnee, finde ich (je mehr desto besser, aber auch
das verkniff ich mir).
Abends auf dem Heimweg war das Schneetreiben so stark, dass
man kaum bis zu den Füssen sehen konnte, also schaute ich in die
entgegengesetzte Richtung, in den Himmel. Das macht einfach Spass: Den Kopf in
Richtung Schneeflocken halten und auf gar keinen Fall die Augen schliessen!
Ausser wenn eine dicke Schneeflocke direkt drin landet, dann schliessen sie
sich automatisch. Aber diesem Geflocke zuzuschauen in Richtung Himmel ist ein
wunderbares Gefühl, man kann sich so richtig darin verlieren. Bis man früher
oder später unsanft auf den harten Boden der Realität zurückgeholt wird, weil
man entweder das Gleichgewicht verliert in all den Flocken und mitten auf dem Trottoir auf den
Allerwertesten fällt oder weil ein anderer Fussgänger Platz braucht. Vielleicht
hätte ich mein Schneeflockenschauspiel besser zuhause auf der Terrasse
genossen, das wäre weniger peinlich gewesen. Naja, offensichtlich habe ich noch
lange nicht ausgelernt.
Jetzt hoffe ich, dass bald wieder Schnee aus den dicken
grauen Wolken fällt, und da ich heute von Zuhause aus arbeite, kann ich sogar
laut jubeln, ohne dass sich meine anti-schneeige Büronachbarin zu sehr ärgert
über meine Freude (sie und ich mögen uns übrigens sehr gut, ausser es geht um
winterliche Diskussionen).
Was mir etwas peinlich war gestern: Ich lag schon im warmen
Bett, als unser Nachbar noch Schnee schaufeln ging. Ich hätte das auch tun
können/sollen/müssen, ist es eine schlechte Ausrede, wenn ich sage, dass ich
die Schneeschaufel nicht gefunden habe? Auf jeden Fall herzlichen Dank, lieber
Nachbar!