Ab und zu denke ich nach über unsere Gesellschaft, wie sie
sich wandelt, wie sie sich gewandelt hat, wie sie sich in Zukunft wandeln wird.
Manche Dinge erfüllen mich mit Freude, andere mit grosser Sorge, was dazu
führt, dass ich meinem Hirn befehle gleich wieder aufzuhören mit dem
Denkprozess.
Oft scheint mir, dass unsere Gesellschaft sich von sich
selber entfernt, spontan fällt mir das Adjektiv „gehaltlos“ ein. Wir Menschen
handeln häufig sehr rücksichts- oder gedankenlos, sei es gegenüber unseren Mitmenschen, aber
auch gegenüber unserer Umwelt und unserer Natur. Je länger ich darüber
nachdenke, desto lauter möchte ich Stopp schreien, weil mir scheint, dass es so nicht
weiter gehen kann.
Wenn jeder Mensch nur noch sich selber im Zentrum sieht (ich
schliesse mich nicht aus), nicht mehr überlegt, dass seine Handlungen immer
Interaktionen sind und bei irgendjemanden etwas auslösen oder etwas kaputt
machen, wenn uns nicht mehr klar ist, dass wir keine in sich abgeschlossenen
Wesen sind, sondern den Bezug zur Aussenwelt brauchen (oder zumindest nie ganz
ausschliessen können), wenn wir meinen, dass wir genug stark sind und nichts
und niemanden brauchen, dann geht es wohl abwärts mit uns.
Ich mache einen kleinen Exkurs in die Tier- und Pflanzenwelt:
Tiere und Pflanzen sind unglaublich anpassungsfähig. Verändert sich ihre
Umwelt, suchen sie sich einen Weg, um trotz widriger Umstände überleben zu
können. Sie machen kleinere Blätter, sie ändern ihre Verdauungstaktik, sie
werden kleiner, grösser, je nachdem, was es braucht, damit ihre Art überleben
kann. Diese Anpassungen sind nicht sofort sichtbar, sondern entwickeln sich
meist über viele Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende.
Der Mensch zählt, zumindest für mich, ebenfalls zur Natur
(auch wenn er sich so gesehen selber zerstört), folgedessen passt
auch er sich seiner Umwelt laufend an. Spinne ich diesen Gedanken weiter,
heisst das, es geschehen ununterbrochen kleine Dinge mit uns, die wir weder
spüren noch sehen, aber die es uns ermöglichen, uns besser zurecht zu finden in
unserer sich ständig ändernder Umgebung. Wir können nicht davon ausgehen, dass sich nur Tiere und
Pflanzen neuen Bedingungen anpassen, sondern wir machen das ebenso, ganz
automatisch und unaufhaltsam. Es ist auch nicht so, dass wir diesbezüglich auch nur
ein winziges Detail selber steuern könnten, wir sind machtlos (merken das aber
zum Glück nicht), trotz unseres grossen neuen Wissens.
Einige dieser Anpassungen, die sich auf einer ganz anderen
Ebene und auch viel kurzfristiger zeigen, sind zum Beispiel in unserem
Sprachgebrauch zu finden. Für mich ein unglaublich erschreckendes, aber auch
sehr eindeutiges, Beispiel ist unser Umgang mit Essen, was auf den ersten Blick nichts mit Sprache zu tun hat. Allerdings wirklich nur auf den ersten
Blick.
Noch vor wenigen Jahrzehnten kamen die Menschen über den Mittag von der
Arbeit nach Hause, nahmen mit der Familie gemeinsam eine (selbst gekochte, sasisonale)
Mahlzeit ein und gingen dann frisch
gestärkt wieder an die Arbeit. Wir hingegen verpflegen uns über Mittag meist in aller Kürze
irgendwo auf der Strasse mit einem gekauften Sandwich, mit Fast Food, mit einem
Tagesmenu in der Kantine. Danach kehren wir wieder ins Büro, in den Hörsaal
oder wohin auch immer zurück und fühlen uns unglaublich müde. Wir möchten
nichts lieber als uns hinlegen und ein wenig die Augen schliessen.
Was hat sich geändert? Heute schieben wir über Mittag meist einfach etwas in den Mund, um
uns zu ernähren, Ziel ist die reine und möglichst zeitsparende Sättigung. Nicht der Genuss am Essen oder
die Stärkung für den Nachmittag, das „Wieder-lebendig-werden“ steht im
Vordergrund, sondern das reine Bauchfüllen. Wir gehen sehr sorglos mit uns
selber um, wir nehmen nicht wahr, wie sehr wir unseren Körper (in diesem Moment
den Verdauungstrakt) mit diesem Verhalten belasten.
Heute kaufen wir Nahrungsmittel, früher hiess das
Lebensmittel. Frappant, wie unterschiedlich das klingt. Und noch frappanter,
wie klar es unser Verhältnis zur Ernährung aufzeigt.
So gibt es wohl unzählige kleine Dinge, denen wir uns
anpassen, wir lassen Begriffe verschwinden, die nicht mehr zu uns passen
(Lebensmittel), wir erfinden neue, die besser passen (Nahrungsmittel). Dies ist
natürlich ein unbedeutendes Vorkommnis, allerdings eins, das wir beobachten
können. Ganz viele andere dieser Anpassungen nehmen wir nicht wahr, können uns
derer nicht bewusst werden.
Wie wir wohl in 100 Jahren aussehen? Wird unser Darm sich an
die geänderten Bedingungen angepasst haben? Brauchen wir überhaupt noch so
lange Beine, oder Zehen, wenn wir doch die grössten Strecken mit dem Auto
zurücklegen? Brauchen wir noch Haare? Vielleicht brauchen wir auch keine Zähne mehr,
weil wir nicht mehr essen müssen, sondern das Essen in Tablettenform
verabreicht wird?
So genau möchte ich mir das gar nicht vorstellen, und zum Glück
wissen wir nicht, wie wir uns weiter entwickeln. Ich geniesse auf jeden Fall
jede meiner Mahlzeiten bewusster, seit ich festgestellt habe, dass sich mein
Sprachgebrauch dem Essverhalten der meisten westlichen Menschen angepasst hat,
ungewollt, unmerklich, schleichend.
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