Einem netten, grossen Zürcher Schneemann mit explosivem Kopf
habe ich es zu verdanken, dass ich heute Nachmittag statt im Büro im deutlich
gemütlicheren Zuhause sitzen darf. Heute ist Sechseläuten und der Böögg wird wie
jedes Jahr voraussagen, wie der Sommer werden wird. Für mich spielt das aus
zwei Gründen keine grosse Rolle: 1) Ich bin im Sommer nicht hier und 2) stimmt
die Prognose meist nicht wirklich (ehrlich gesagt würde ich meiner eignen
Prognose auch nicht trauen, wenn sie davon abhängig ist, wie schnell oder wie
langsam mein Kopf explodieren wird).
Dank diesem Böögg, egal ob er richtig oder falsch
prognostiziert, sitze ich also nun hier und habe ein schlechtes Gewissen.
Einerseits habe ich einen Nachmittag frei, der wettertechnisch geradezu einlädt
einfach nichts zu tun, tief unter die Decke zu kriechen und dort ein gutes Buch
zu lesen. Andererseits aber liegen da noch all die Lernhefte auf dem Tisch, die mich
vorwurfsvoll anstarren und darauf warten, dass ich endlich mal wieder eine
Seite darin umblättere, im Idealfall sogar mehr als nur eine.
Habe ich nun wirklich die Freiheit, in meiner Freizeit zu
tun wonach es mich gelüstet? Oder lasse ich mich tatsächlich von einem widerlich
grünen Lernheft mit dem ansprechenden Titel „VOP01“ den freien Nachmittag
verderben? Und was ist mit all den Rechnungen, den ungelesenen Zeitungen, den
Ferienvorbereitungen, die mich genauso vorwurfsvoll (aber nicht so prominent vom Tisch aus)
anblicken?
Während ich diese Zeilen schreiben, sehe ich mein schlechtes
Gewissen langsam davonziehen, mit hängendem Kopf, im Wissen, dass es erfolglos
versucht hat, mich an den Tisch zu zwingen. Fast habe ich ein wenig Mitleid mit
ihm, aber wirklich nur fast. Ich bin auch sicher, dass es sehr bald wieder bei
mir anklopft und früher oder später über mich siegt.
Heute Nachmittag nehme ich mir ganz einfach die Freiheit, meine
Freizeit zu geniessen, ich schnappe mir mein Buch, koche mir einen gut
riechenden Berliner Tee, und neben dem Sofa steht ein Teller mit Bärentatzen
(die ja sowieso nur trocken werden, wenn man sie zulange ansieht statt verzehrt).
Ich winke noch kurz meinem schlechten Gewissen zu, das am Horizont verschwindet,
dann klappe ich mein Laptop zu und mache es mir gemütlich, mit Sicht auf
Regenwetter und vorbeihastende Schirme.